Adaptronik - intelligente Werkstoffe
Autor: Sascha Adamek
Ein Helikopter des Bundesgrenzschutz im Anflug. Solche Massen zu bewegen,
produziert Lärm, doch wo genau entsteht der Krach in verschiedenen
Verkehrsmitteln? Mit ihrer weltweit einzigartigen Akustikkamera geht ein
Meßteam der Berliner Gesellschaft GFaI für GLOBUS dieser Frage
nach - mit Hilfe von 36 sensiblen Mikrofonen und einem Computer. Das ausgewertete
Helikopter-Bild zeigt: nicht nur der Helikoptermotor produziert Lärm
- sondern auch die Rotorblätter.
Ein Pkw, 35 Stundenkilometer schnell auf holprigem Weg, der Lärm
kommt aus dem Motor - denken wir - doch das Bild der Akkustikkamera belegt:
die Geräusche kommen von Achsen und Rädern.
Ein ICE, etwa 250 Stundenkilometer schnell - sein Geräusch diffus.
Die Lärmkamera zeigt: vor allem das Fahrwerk produziert Lärm
und - überraschend: auch der Stromabnehmer.
Dr. Gerd Heinz, GFaI:
"Natürlich produziert Geschwindigkeit Lärm, doch wir stellen
immer wieder fest, daß sich Lärm an kleinen Details mindern
oder beseitigen läßt. Porsche zum Beispiel hat mit uns die Geräusche
und ihr Eindringen in die Fahrerkabine genau lokalisieren können,
Liebherr ist dabei, mit uns u.a. den leisesten Bagger der Welt zu entwickeln."
Je schneller das Verkehrsmittel, desto stabiler müssen die Werkstoffe
sein, doch gerade steife Materialien geraten durch Bewegung in Vibrationen
- das mindert den Komfort und produziert Lärm. Hinzu kommen ein immenser
Rohstoffverbrauch - und wegen des hohen Gewichts der Energieverbrauch.
Unter dem Eindruck dieser negativen Begleiterscheinungen des technischen
Fortschritts sind Wissenschaftler auch in Deutschland dabei, sogeannte
intelligente Werkstoffe, auch smart materials genannt, zu entwickeln. Am
Würzburger Fraunhofer Instut für Silicatforschung hat man so
ein Material am weitesten entwickelt: piezokeramische Fasern. Die synthetisch
hergestellten Fasern sind gerade mal ein Drittel so stark wie ein menschliches
Haar, doch ihre Kraft ist enorm. Werden sie von einem Steuergerät
aus unter Spannung gesetzt, verkürzen oder verlängern sie sich,
wirken der Vibration entgegen wie bei diesem Versuch im Deutschen Institut
für Luft und Raumfahrt. Das Wasser in der Petrischale bewegt sich
wegen der Vibration, erst das Einschalten der Piezokeramik bewirkt den
Stopp der Vibration.
Werden piezokeramische Stoffe in Flugzeugtragflächen oder Autochassis
eingebaut, können sie die Oberflächenbeschaffenheit ganz nach
Bedarf beeinflußen. Einen plötzlichen mechanischen Druck wandeln
sie in elektrische Spannung um, die Information mit der dann ein Regler
versorgt wird. Doch zugleich können sie reagieren. Schickt der Regler
als Antwort eine andere Stromspannung, können sie sich zusammenziehen
oder verlängern. Kurz: Piezokeramiken sind klein und intelligent:
sie können agieren und reagieren zugleich. Die Forscher haben ihre
neue Disziplin Adaptronik getauft, doch im Grunde orientieren sie sich
schlicht an der Natur:
Dieter Sporn, Fraunhofer Institut f. Silicatforschung:
"Die Grundmotivation kann man sich in der Natur absehen, die biologischen
Systeme sind mit Sensoren ausgestattet, also mit Nerven. Die Signale der
Sensoren werden vom Gehirn verarbeitet und lösen motorische Aktuatorik
Motorik aus, daß heißt Muskeln bewegen sich, daß heißt,
biologische Systeme, auch der Mensch, passen sich dann an Umgebungsänderungen
an."
Der Europäische Luft und Raumfahrtkonzern EADS im bayrischen Ottobrunn
hat gemeinsam mit dem Hersteller Eurocopter und der Deutschen Luft und
Raumfahrtagentur die Adaptronik bislang am weitesten entwickelt - gemeinsam
mit dem Hersteller Eurocopter und der Deutschen Agentur für Luft-und
Raumfahrt DLR:.
Dr. Willi Marin, EADS-Forschung:
"Es gibt hier von Flugplätzen Vorgaben, daß nur noch
Flugzeuge landen dürfen, die einen bestimmten Schallpegel nicht überschreiten
dürfen, bei Hubschraubern wird die gleiche Entwicklung kommen. Insofern
ist es nicht nur eine Frage des Flugzeuge, leise Hubschrauber anbieten.
Beim Hubschrauber ist es so, daß wir gerade im Anflugbereich ein
sehr unangenehmes Geräusch haben, das wird von Insidern als Teppichklopfgeräusch
bezeichnet, und wir arbeiten sehr intensiv daran, mit den Kollegen von
Eurocopter und dem DLR um gerade dieses Geräusch wegzubekommen."
Um dieses Teppichklopfgeräusch der Rotorblätter auszuschalten,
haben die EADS-Forscher eine Rotorklappe entwickelt. Die Klappe bewegt
sich mit exakt der gleichen Frequenz im Rotor, unterdrückt aber durch
ihre Gegenbewegung den Schall. In dieser Versuchsanlage werden mögliche
Windwiderstände simuliert, auf diese reagiert ein piezokeramischen
Stapelaktuator durch Ausdehnung. Damit treibt er punktgenau die Rotorklappe
an. Vier solcher kleinen Stapelaktuatoren sollen in jedes Rotorblatt eingabaut
werden - jeder ist stark genug unter einer Spannung von 600 Volt bis zu
100 Kilo Masse zu bewegen.
Dr. Willi Martin, EADS-Forschung:
"Wir haben beim Helikopter sehr extreme Anforderungen. Wir haben
hohe Luftlasten beim Umlauf des Rotors, gleichzeitig haben wir extrem hohe
Zentrifugalkräfte, etwa das tausendfache der Erdbeschleunigung. Dadurch
brauchen wir Aktuatoren, die nicht nur leicht und kompakt, um sie in das
Hubschrauberrotorblatt zu integrieren, sondern auch sehr starke Leistung
bringen, um die Klappe ausreichend ausschlagen zu können."
Die Rotorklappe hat bereits erfolgreich Windkanaltests bestanden. Eine
andere adaptronische Anwendung wurde bereits im Flugtest ausprobiert: die
sogenannte Akustikstrebe. Dabei handelt es sich um eine piezokeramische
Folie, die um jede Strebe zwischen Rotor und Hubschrauberkabine gelegt
wird. Grund: für die Insassen von Hubschraubern ist besonders ein
sehr hochfrequenter Ton nervtötend, dieser Körperschall wird
durch die Aufhängungsstreben übertragen - und per Piezokeramischer
Folie ausgeschaltet, wie dieser Test hörbar belegt.
Auch in der Autoindustrie beschäftigt man sich mittlerweile mit
lärm- und treibstoffarmen Leichtbaumaterialien. Beispiel Volkswagen:
wie andere Autohersteller auch, bemüht sich VW, Fahrgeräusche
für Autofahrer gering zu halten. Doch längst zeichnet sich ab:
mit passiven Lärmdämmungen sind kaum noch größere
Erfolge zu erwarten. Deshalb wird gegenwärtig der Einbau von piezokeramischen
Folien in das Dach des neuen Bora-Modells vorbereitet. Sechs 0,2 Millimeter
dünne Piezo-Folien an neuralgischen Punkten werden dafür sorgen,
daß sich der Körperschall des gesamten Fahrzeuges nicht länger
über das vibrierende Autodach und damit auf die Insassen überträgt.
Auf diese Weise können sich Hersteller auch leichtere Materialien
leisten - die allerdings intelligent gesteuert werden:
Dieter Sporn, Fraunhofer Institut f. Silicatforschung:
"Wenn ich ein Leichtbauautodach adaptiv steuern weil, bedeutet daß,
daß ich aus dem Dach über den Sensor ein Signal auslesen lasse.
Der Regler, der die Informationsverarbeitung übernimmt, der muß
auch die Sensorsignale auswerten könne und muß das adäquate
Signal an den Aktuator geben, indem er genau die phasenverschobene aktuatorische
Signalgebung realisieren kann und so kann man schon von einem Signalkreislauf
und Informationskreislauf sprechen."
Auf schnelles Reagieren der intelligenten Werkstoffe kommt es besonders
im Hochgeschwindigkeitsbereich an: Beispiel ICE. Der Hersteller Adtranz
im brandenburgischen Hennigsdorf ist gleich an zwei Stellen mit adaptronischen
Systemen. Zum einen sollen die lärmdominanten Fahrwerke des künftigen
ICE 3 durch Stapelaktuatoren vibrationsärmer laufen, zum anderen weiß
man auch bei Adranz um die Lärmproblematik der Stromabnehmer. Und
auch hier ist die Lösung adaptronisch:
Fedor Labrenz, Adtranz Forschung:
"Bislang sind die Stromabnehmer noch passive Systeme, mit den entsprechenden
Reibungsverlusten, was Sie an den vielen Lichtbögen sehen. Die Stromabnehmer
hängen noch vom Untergrund und Aerodynamik ab, reiben sich also sehr
ungleichmäßig an der Leitung, was Lärm produziert und die
Abnutzung erhöht. Deshalb haben wir einen piezokeramischen Stapelaktuator
eingebaut, der den Stromabnehmer gleichmäßig unter niedrigem,
also schonendem Druck an der Leitung hält."
Auch im Falle des ICE will man also unangenehme Geräusche bekämpfen,
aber vor allem die Wirtschaftlichkeit erhöhen. Das hat im Fall von
Verkehrsmitteln auch ökologische Vorteile. So schätzen die Experten
der EADS, daß die für 2003 geplante adaptive Flugzeugtragfläche
bis zu 6 Prozent Ersparnis an Flugbenzin bringt. Smarte Autos mit adaptiver
Technologie werden, laut Expertenmeinung nochmals um ein Drittel leichter
sein als heutzutage - das spart Ressourcen und führt sogar die die
öffentliche Erregung über Benzinpreise ad absurdum:
Dieter Sporn, Fraunhofer Institut f. Silicatforschung:
"Aus meiner Sicht ist die aktuelle Debatte rein populistisch, wer
sich technische Lösungen ansieht und weiß, was schon heute realistisch
ist und was in Zukunft auf dem Markt erscheinen wird. Das sind Bauteile
mit einer Vibrationsbekämpfung, die man im Betrieb machen kann. Dann
ist die Debatte völlig gegenstandslos. Die Zukunft wird zeigen, man
kann mit wesentlich leichteren Fahrzeugen, mit wesentlich geringerem Energieverbrauch
auskommen können, ohne einen Verlust an Komfort erleiden zu müssen."
Dennoch, so intelligent Werkstoffe auch sein werden, Motoren werden
immer Lärm produzieren. Und hier liegt es am Menschen adaptiv zu reagieren.
Ein ICE mach unterm Strich nunmal weit weniger Krach als ein komfortabler
Inlandflieger. |