28 DER TAGESSPIEGEL             FORSCHEN               Nr. 19010 / Mittwoch, 9.November 2005

 

 

Krach im Bild

Die akustische Kamera spürt versteckte Lärmquellen auf

Von Paul Janositz

 

Es könnte moderne Kunst sein, das Bild an der Wand im Büro von Gerd Heinz in Berlin-Adlershof. Doch es bildet Technik ab, einen mikroelektronischen Schaltkreis, Glanzstück der Forschung aus DDR-Zeiten. Entworfen im Institut für Nachrichtentechnik Berlin-Schöneweide. „Dafür gab es den Nationalpreis“, sagt der 51-jährige Ingenieur, lässig gekleidet in schwarzen Jeans und weißem T-Shirt.

 

Schall-Foto. Diese Aufnahme einer Propellermaschine zeigt, wo das Flugzeuggeräusch herkommt. Rot bedeutet viel Lärm, von Grün nach Blau wird es leiser. Foto: GFaI, Heinz

 


Spitzenforschung betreibt Heinz auch heute noch. Nicht umsonst ist er mit seinen Kollegen Dirk Döbler und Swen Tilgner für den Zukunftspreis des Bundespräsidenten nominiert worden. Das Team gehört zur „Gesellschaft zur Förderung angewandter Informatik“, einer Firma mit rund 100 Mitarbeitern.

„Akustische Kamera“ heißt das Gerät, das es den Juroren angetan hat. Es geht darum, Lärm sichtbar zu machen.

Die neue Technik hilft, leise Autos zu entwickeln, Flugzeuge zu beruhigen oder Windkraftanlagen das Pfeifen abzugewöhnen. Auch bei Hausgeräten kommt es auf den richtigen Ton an. So wurden Waschmaschinen, Kühlschränke, Bohrmaschinen oder Staubsauger dem Adlershofer Akustik-Check unterzogen. Sogar elektrische Zahnbürsten kamen dran. „Warum sollten die Schallbilder nicht eines Tages auch ein Kriterium der Stiftung Warentest sein?“ überlegt Heinz.

Bei der in Adlershof entwickelten Technik werden Schallwellen mit drei Dutzend hoch empfindlicher Mikrofone aufgenommen, per Datenrekorder gespeichert und vom Computer in Farben umgewandelt. Da die ring-, stern- oder kugelförmig angeordneten Schallsensoren in unterschiedlicher Entfernung zum Objekt platziert sind, fangen sie die Schallwellen mit einem zeitlichen Unterschied auf. Aus den Abweichungen wird das Bild des Lärms berechnet.

Das Knifflige ist die Software. Diffizile Algorithmen mussten vom Software-Spezialisten Dirk Döbler umgesetzt werden, um auszurechnen, woher wie viel Schall kommt – etwa wenn ein Automotor nicht rund läuft. Dann zerlegen die Adlershofer Tüftler das Schallbild und färben es ein. Rot bedeutet viel Lärm, von Grün nach Blau wird es immer leiser. Das farbenfrohe Bild wird automatisch mit einem digitalen Foto des Objekts überlagert. Nun erkennt man, welche Teile des Motors ungewöhnliche Geräusche von sich geben, wo es klappert oder pfeift.

Oft kommt störender Lärm aus Quellen, an die man zunächst nicht gedacht hat. Als etwa das Klappern eines Münzsortierers den Mitarbeitern von Bankfilialen die Nerven raubte, konnte der Schallpegel durch drei kleine Änderungen auf ein Drittel reduziert werden. 20 Dämmungen wurden überflüssig.

Auch durch Reflexionen am Boden nehmen Geräusche ungewöhnliche Formen an. Solche Interpretationen können ziemlich schwierig sein. „Das erste Bild eines Automotors hat mich zwei Wochen lang beschäftigt“, erzählt Heinz. Nicht der Motor, sondern der darunter liegende Schalldämpfer machte den größten Lärm, das war als Schallreflexion am Boden zu erkennen. Auch Flugzeugtriebwerke, ICE-Züge oder Motorräder offenbarten ungewöhnliche Klangbilder, mit denen die 1990 gegründete Adlershofer Firma auf der Cebit-Messe in Hannover 1997 erstmals Aufmerksamkeit erregte.

Auch schlafgestörten Großstadtbewohnern konnten die Lärmfilmer zu mehr Ruhe verhelfen. Die neuen Niederflur-Straßenbahnen sahen zwar chic aus, waren aber zu laut. Als Quelle entlarvte das Schallbild einzelne Drehgestelle; die Übeltäter wurden ausgetauscht.

Trotz der vorzeigbaren Erfolge war die Vermarktung nicht leicht. „Produkte, die noch nicht am Markt platziert sind, treffen zunächst auf große Skepsis“, berichtet Heinz. Zudem kopierten Institute und Akustik-Hersteller die Idee, so dass es einen richtigen Boom gegeben habe. „Aber wir waren immer einen kleinen Schritt voraus.“ 2001 war das System marktreif, die Anfragen von Firmen häuften sich. „Wir haben inzwischen etwa 40 Systeme verkauft, die Hälfte davon in Deutschland“, sagt Heinz.

Vor allem die Automobilbranche und ihre mittelständischen Zulieferer haben Interesse, profitieren sie doch enorm von der schnellen Fehlersuche. „Da werden sonst seitenlange Dossiers geschrieben, aus denen man letztlich doch nicht schlau wird“, erklärt Heinz. Die akustische Kamera offenbart dagegen sofort, wo es nicht rund läuft. Und sie hilft Autos zu entwickeln, die außen und innen lärmarm sind. Schließlich soll auch das Klavierkonzert aus dem Radio bei hoher Geschwindigkeit nicht durch Fahrgeräusche übertönt werden.

Mittlerweile arbeiten 15 Ingenieure und Techniker an der Adlershofer Lärmanalyse. Zudem sind Vertreter unterwegs, um die akustische Kamera weltweit, auch in China, Korea oder Taiwan, zu vermarkten.

„Seit 2001 verdoppeln wir jährlich den Umsatz“, sagt Heinz. Die Umsetzung einer innovativen Idee und die Schaffung von Arbeitsplätzen sind Kriterien für die Vergabe des Zukunftspreises. Vielleicht steht ja das Team auf dem Siegertreppchen, wenn der Bundespräsident an diesem Freitag die Entscheidung verkündet.