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Die Themen vom Sonntag, 21. September 2003, 22.55 Uhr in Sat.1


Anonyme Bombendrohung - Spinner oder Attentäter?
Für immer jung - Was bringen Antifaltencremes?
Bionik - Das Wissen der Natur in der Technik von heute
Knast für Raubkopierer? - Das neue Urheberrecht und seine Folgen


Bionik - Das Wissen der Natur in der Technik von heute

Die Bionik ist auf dem Vormarsch. Vor fünf Jahren begannen die Forscher den "Lotusblüteneffekt" nachzubauen, heute findet das Prinzip in vielen Produkten Anwendung: Es macht Hemden immun gegen Rotwein, Waschbecken weniger anfällig gegen Schmutz und Dachziegel richtig wetterfest. Professor Ingo Rechenberg von der Technischen Universität Berlin ist einer der bekanntesten Bioniker Deutschlands. Er kommt gerade aus der Sahara zurück: Dort hat er die Haut von "Sandfischen" untersucht. Das besondere an den kleinen Echsen: Sie können blitzschnell im Wüstensand abtauchen. Möglich macht das ihre spezielle Haut, sie ist glatter als polierter Stahl und wesentlich elastischer. PLANETOPIA auf den Spuren der genialen Erfindungen der Natur.



Buchtipp
Insektenflug. Konstruktionsmorphologie, Biomechnik, Flugverhalten.
W. Nachtigall.
Gebundene Ausgabe, 510 Seiten, Springer Verlag 2003.
EUR 69,95
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Buchtipp
Bionik.
Werner Nachtigall.
Gebundene Ausgabe, 545 Seiten, Springer Verlag 2002.
EUR 69,95
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Buchtipp
Das große Buch der Bionik. Neue Technologien nach dem Vorbild der Natur.
Kurt G. Blüchel, Werner Nachtigall.
Gebundene Ausgabe, 400 Seiten, Dva 2003.
EUR 19,95
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Von der Natur lernen: ob stabile Leichtkonstruktionen oder High-tec Oberflächen. Meist hat die Natur schon die perfekte Lösung entwickelt. Der Mensch muss sie nur erkennen, verstehen und das schwierigste - nachbauen. Job und Leidenschaft für Ingo Rechenberg. Professor an der technischen Universität Berlin. In seinen Terrarien hütet er seine Schätze: Wüstensandfische.
Prof. Ingo Rechenberg, Bioniker: "Da haben wir einen Sandfisch aus der Sahara. Sandfisch deswegen, weil er wie ein Fisch sich unter dem lockeren Sand sich schlängelnd fort bewegt. Die Nomaden sagen, und die haben meistens recht, bis einen Meter, ich kann's kaum glauben, 30 Zentimeter auf jeden Fall, aber warum soll's nicht auch bis zu einem Meter tief sein."

Das aalglatte Reptil taucht mühelos im Sand unter, wie andere das nur im Wasser können. Die Sahara in Südmarokko, hier leben Sandfische zu Hunderten. Rechenberg beobachtet die Tierchen lange in ihrem natürlichen Umfeld. Ihm fällt auf: Nie bleibt auch nur ein Sandkorn an den Echsen haften. Sie fangen ein Tier und berieseln die Haut mit einem feinen Sandstrahl. Rechenberg testet verschiedene Neigungswinkel. Selbst bei flachen 20 Grad rutscht der Sand weiter. Zurück in Berlin wiederholt er die Versuche in seinem Labor mit herkömmlichen Materialien, die als extrem glatt gelten. Rechenberg entdeckt Sensationelles: Polierter Stahl, bekannt als reibungsarmer Werkstoff. Der Sand bleibt hier schon bei 25 Grad Neigung liegen. Die Echsenhaut scheint einzigartig!

Prof. Ingo Rechenberg: "Selbst Glas oder Nylon oder Teflon, alles was man denkt kann nicht mithalten, Stahl ist noch das Beste."

Jetzt wartet die Industrie auf den Sandfisch, doch erst muss Rechenberg herausfinden, WARUM der so gut rutscht und so leicht abtaucht. Ein paar Häuser weiter forscht Dr. Gerd Heinz an einer akustischen Kamera. Das System soll Schall sichtbar machen. Auch ihm liefert die Natur ein geniales Vorbild: Eulen. Kein Wirbeltier hört besser. Eulen orientieren sich am Schall und orten Beute bis über 60 Meter - punktgenau!

Dr. Gerd Heinz, Entwickler: "Eine Schleiereule kann eine Maus greifen, die unter einer geschlossenen Schneedecke sitzt. Die haben also eine perfekte akustische Karte in Ihrem Gehirn."

An einer Nähmaschine demonstriert uns Dr. Heinz sein System. Auf dem Ring: 32 kleine Mikrofone, die er zur Maschine hin ausrichtet. Die herkömmliche Digitalkamera in der Mitte liefert schwarz-weiß Bilder der Nähmaschine. Die Daten der 32 Mikrofone werden im Labtop ausgewertet: Eine komplizierte Software wandelt die Signale um in ein Hör-Bild.

Dr. Gerd Heinz: "Wir sehen dort wo es laut ist tauchen die roten Flecke auf. Wir sehen auch den Zeitbezug, das ist jetzt eine Zeitlupenaufnahme mit 500 Bildern pro Sekunde. Wir sehen in Zeitlupe immer mal wieder die Nadel aufleuchten. Immer wenn die Nadel vorne einsticht, dann gibt es ein Geräusch und wenn sie heraus zieht ist dieses Geräusch wieder zu Ende."

Wir nehmen die Kamera mit ins Cafe: Dr. Heinz richtet seinen Lauschring auf eine Dreiergruppe. Andere Gäste und Straßenlärm lenken ab und sorgen für eine verwirrende Geräuschkulisse. Wir machen einen Test. Das Mobiltelefon einer der drei Personen wird gleich klingeln. Wir sind gespannt, ob die Hör-Kamera zeigt, in wessen Tasche es versteckt ist. Und siehe da: Die Kamera blickt voll durch:

Dr. Gerd Heinz: "Hier klingelt das Handy. Hier sieht man, die Sprechblase der Dame. Wir sehen die Schallreflexion auf der Tischplatte. Diese Spiegelung sind real da, und insofern nehmen wir sie auch mit. Und weil die bei schalltechnischen Betrachtungen auch eine Rolle spielen."

Schon der kleine Versuch im Café deutet an, die Hör-Kamera ist eine wirklich geniale Erfindung. Das hat auch die Firma Porsche erkannt. Entwicklungszentrum in Weissach, das Akustiklabor der Autobauer. Der verhüllte Wagen, ein Prototyp. Top Secret. Akustik-Chef Rolf von Sivers leitet die Soundchecks. Die Ingenieure kreieren hier den typischen Porschesound. Das Bild zeigt genau an, welche Bauteile, welchen Sound erzeugen.

Rolf von Sivers, Leiter Akustik: "Diese Grundstruktur mit den zwei Zylinderreihen auf der Seite, die separat akustisch behandelbar sind, die sind geblieben. Und das gibt Leitbild, für eine kräftige, für eine sportliche, vom Gaspedal abhängige Geräuschkulisse, gibt den 911 Ton. Das ist so das akustische Urgestein, wenn Sie so wollen für uns Sounddesigner. Das streicheln so gut wir können und denken uns alle möglichen Tricks aus."

Die Hörkamera hilft hier beim Soundtüfteln im Akustiklabor. Sie hilft den Entwicklern aber auch an der Teststrecke, alle Geräuschquellen am Auto zu identifizieren. Erst der Sound macht einen Porsche zu einem richtigen Porsche. Siegfried Mayer ist einer von 10 Mitarbeitern, die ausschließlich für den guten Ton zu sorgen haben. Ein 911er, bestimmt für den US-amerikanischen Markt, soll eben anders wummern als das gleiche Modell in Deutschland. Nur einige Sekunden später - das Programm liefert das Hörbild. Der Clou: es zeigt auch verschiedene Tonhöhen. Für die Akustiker ein entscheidender Vorteil beim Basteln am Gesamtkunstwerk.

Siegfried Mayer, Sounddesigner: "Was immer sehr schlecht ist, wenn man tonale Komponenten hat, die aus dem .. heraus stechen. Das kennt man von einem Konzert. Und ein Spieler greift nach einem falschen Ton. Das hören sie aus einem kompletten Orchester heraus. Und so ist das bei einem Auto auch. Wenn Sie irgendeine Komponente haben, die da heraus sticht, die einen falschen Ton verursacht, dann ist das für das Gesamtbild einfach abträglich."

Deshalb wird hier solange getestet und geschraubt, bis nur der Porsche-Sound zu hören ist.
Zurück in Berlin bei Professor Rechenberg. Ein Storchenflügel im Windkanal: Je nach Stärke des Gegenwinds stellen sich die Federn steil auf oder bleiben flach liegen. Rechenberg will das Prinzip der beweglichen Federn auf Flugzeuge übertragen. Ein kühner Plan, denn daran scheiterte schon ein früher Bioniker namens Leonardo da Vinci.

Prof. Ingo Rechenberg, TU Berlin: "Das Hauptziel ist die Widerstandverringerung, wobei der Gesamtwiderstand, die Tatsache, dass die Strömung also am Ende des Flügels herumströmt von unten nach oben und so dicke Wirbel bildet. Diese Wirbel verzehren etwa 45 Prozent des Gesamtwiderstandes."

Könnte man diese Wirbel verhindern, für die Flugzeugindustrie: ein unglaubliches Sparpotenzial. Auch seine Flugmodelle testet Professor Rechenberg in der Sahara. Ideale Bedingungen für das extreme Leichtgewicht: 40 Gramm samt Motor, Akkus und Steuerung. Und: Er denkt schon an den nächsten Schritt:

Prof. Ingo Rechenberg: "Ich möchte, dass es ganz langsam fliegt, es praktisch über meinem Kopf stehen bleibt, so dass ich mit einer Kamera meine Umgebung sehen kann."

Ein unauffälliger Beobachter. Von der Natur abgeschaut, so wie schon viele Flugobjekte vor ihm. Abgekupfert von der Natur: Auch wenn die Bionik noch in den Kinderschuhen steckt, hat sie uns doch schon viele neue Techniken beschert. Und die Zukunft fängt gerade erst an...