Züricher Sonntagszeitung          Innovation   10. Juni 2001     Seite 93

Schall im Bild

Mit einer Kombination von Kamera und Mikrofonen lässt sich Lärm sichtbar machen

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von Norbert Raabe

Berlin – Von einer guten Idee zur praktischen Erfindung braucht es manchmal länger als geplant: mehr als fünf Jahre im Fall der "Akustik-Kamera" des Berliner Ingenieurs Dr. Gerd Heinz. Seit 1995 forscht er mit Kollegen von der Gesellschaft zur Förderung angewandter Informatik an einer Kamera, die mit Hilfe von Mikrofonen "Schallbilder" aufzeichnen kann – doch erst vor zwei Monaten gelang der Nachweis, dass sich das Verfahren in der Praxis nutzen lässt. Um den Lärm zu analysieren, den eine deutsche Chemiefirma in ein Nachbardorf abgibt, rückten die Wissenschaftler mit der "Stern"-Variante an: einem Kamerasystem mit drei abstehenden Stangen, an denen mehr als 30 Mikrofone stecken. Nachdem die Akustiker die Fabrik von mehreren Standorten vermessen hatten, berechnete ein Computerprogramm aus den winzigen Zeitunterschieden, mit denen die einzelnen Mikros Signale aufgefangen hatten, welche Geräusche von wo kamen. Und schließlich warf das System ein Foto aus, auf dem Lärm in Form roter Flecken sichtbar war – Grundlage für gezielte Gegenmaßnahmen.

Messergebnisse laufen menschlichem Höreindruck teils zuwider
Vor zwei Jahren, erinnert sich Gerd Heinz, "waren ähnliche Versuche noch nicht so erfolgreich". Ursache war mangelhafte Präzision: Um verzerrungsfreie Resultate zu produzieren, mussten die Konstrukteure sogar die Verzögerungszeiten von Vorverstärkern, die das System hoch empfindlich machen, sorgsam aufeinander abstimmen.
Solide Messtechnik ist schon deshalb unerlässlich, weil das Verfahren Ergebnisse liefert, die dem menschlichen Höreindruck teils zuwiderlaufen. Beispiel Düsseldorfer Tonhalle: Weil Konzerte darin oft vom Trambetrieb über eine nahe gelegene Brücke gestört wurden, maßen Heinz und seine Kollegen das Bauwerk akustisch aus. Ergebnis: Der Lärm stammt nicht direkt von der Brücke, sondern wird vom Straßenbelag einige Meter darunter zur Tonhalle reflektiert.
Viel nützen wird die Diagnose in diesem Fall nicht, denn die Brücke ist, so Ingenieur Heinz, bereits lärmarm konstruiert. "Die Schienen sind schon gedämpft eingebaut; Verbesserungen sind da nicht ohne weiteres möglich", sagt er, "Schallräume verhalten sich letztlich eben wie Spiegelsääle."
Neben Ferndiagnosen dieser Art soll die Schallografie künftig auch bei Analysen im so genannten Nahfeld helfen. In Automobilen etwa, in denen es rätselhaft klappert oder knackt, kommt ein "Kugel-Array" zum Einsatz: ein Mikrofon-gespickter Drahtball, der Signale von rundumher erfasst.
In Sachen Optik stösst dieses System allerdings an Grenzen. Statt per Kamera ein räumliches Bild einzufangen, werden die Geräusche auf eine dreidimensionale Computersimulation des Innenraums projiziert. Eine komplizierte Technologie – die offenbar dennoch Perspektiven hat. "Letzte Woche", sagt Erfinder Heinz nicht ohne Stolz, "hat Porsche zwei Systeme bestellt."