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hexenschuss.htm

Hexenschuß?

von Gerd Heinz

Sie haben einen Hexenschuß? Um es kurz zu sagen: Wenn Sie nicht operiert werden wollen, können Sie sich nur selbst helfen. Aber auch eine Operation kann Ihr Problem oft nicht eigentlich lösen. Wie wir sehen werden, beseitigt eine Bandscheiben-Operation meist nur die Folgen, nicht aber die Ursachen des Problems.

Ich hatte seit meinem achtzehnten Lebensjahr immer wieder mit grausamen Rückenschmerzen und Bandscheibenvorfällen zu kämpfen. Alle ein- bis zwei Jahre waren die Schmerzen nicht mehr auszuhalten. Und niemand konnte mir helfen.

Ein Ski-Unfall war der Schlüssel zu einer wichtigen Erkenntnis. Und zur Beseitigung meiner Probleme. Aber was mir widerfuhr, war vielleicht einzigartig. Insofern schien es wichtig, die Geschichte aufzuschreiben.

Ein Leidensweg

Über Jahre ging ich immer wieder zum Arzt. Dann gab es die übliche Überweisung zum Röntgen. Dann in die Physiotherapie, zu unerträglich sinnlosen Übungen, die die Schmerzen vervielfachten, statt sie zu lindern. Beim Hopsen auf einem Kuheuter-Ball brach ich dann endgültig ab und schlich wütend nach Hause. Nie wieder!

Auch Elektrostimulation war für mich nur als neuzeitliche Foltermethode erkennbar. Allmählich kam der Verdacht auf, daß behandelnde Ärtzte und Physiotherapeuten überhaupt nicht wissen, was sie tun können.

Allenfalls eine Cortison-Spritze konnte das Leben ein paar Tage lang erleichtern. Aber sie wirkt nicht lange. Das Problem bleibt und kommt bald wieder.

Schon mit achtzehn Jahren, als man mich mit einem Hexenschuß vom Fußballplatz trug, erläuterte mir die behandelnde Ärtztin, daß ich unheilbar an Spondylosis erkrankt sei, so der Name der Erkrankung.

Eine Bandscheibe oder ein Wirbel rutscht dabei in Richtung Bauchraum und quetscht das Rückenmark oder abgehende Nerven. Und die Wirbel reiben aufeinander. Nur eine Operation mit einer Verschraubung der betroffenen Wirbel könnte helfen. Die Prognose der Ärtztin war eindeutig: "Spätestens mit dreiundzwanzig sind Sie dran!". So ein Satz prägt sich ein. Nur noch fünf Jahre habe ich "normal" zu leben?

Ich empfand es als Drohung. Die aber war nicht nach meinem Geschmack. Es war mir zu gefährlich. Es mußte eine Ursache für diese Erkrankung geben. Schon der Großvater predigte immer wieder:

"Hilf Dir selbst, dann hilft Dir Gott!"

Nach vielen Leidensjahren wollte es der Zufall, daß ich selbst die Ursache des Problems entdeckte.

Ein Skiunfall

Im Alter von vierzig Jahren hatte ich im Riesengebirge einen Skiunfall: Oberschenkelhalsbruch. Ich wurde in Vrchlabi (früher Hohenelbe, Tschechien) operiert. Tägliche Routine für die dortigen Chirurgen.

Versehentlich schraubte man eine zu lange Schraube zur Sicherung gegen Verdrehung ein, die bis ins Beckengelenk hineinbohrte. Ich hatte unerträgliche Schmerzen. Das Bein war am Becken festgeschraubt. In den nächsten Tagen wunderte man sich, warum der Patient aufschrie und das Bein um keinen Millimeter bewegen wollte.

Leider gab es im ganzen Krankenhaus nur eine einzige Schwester, die ein wenig deutsch sprach. Aber sie arbeitete auf einer anderen Station und war meist nicht verfügbar. Auch englisch sprach man nicht. Eine Kommunikation über das steife Bein und über meine Schmerzen war nicht möglich.

Nach sieben Tagen schließlich holte mich ein Krankentransport im Krankenhaus von Vrchlabi ab. Man überführte mich ins Krankenhaus Berlin-Neukölln. Vor meiner Abfahrt machte man flüchtig ein paar Röntgenaufnahmen und legte sie mir auf die Brust.

Im Krankenwagen hatte ich genug Zeit, mir die Röntgenaufnahmen anzusehen. Das lenkte von den unerträglichen Schmerzen ab. Jedes Schlagloch, jedes Ruckeln des Fahrzeugs übertrug sich auf den noch frischen Bruch. Ich bekam Nervenfieber, wie man mir sagte.

Beim Betrachten der Röntgenbilder bemerkte ich eine zu lange Sicherungsschraube, die vom Oberschenkel bis ins Becken reichte.

Neun Tage nach der ersten Operation wurde ich dann im Krankenhaus Neukölln das zweite Mal operiert. Man tauschte die zu lange Schraube gegen eine kürzere aus. Damit sollte das Problem behoben sein, so meinte man.

Aber der Oberschenkel war noch immer wie festgeschraubt am Becken. Die Bänder zwischen Becken und Oberschenkel hatten sich in den neun Tagen seit der ersten Operation derart verkürzt (verspannt), daß ich das Bein nicht mehr als drei Grad bewegen konnte. Sitzen war praktisch nicht mehr möglich, nur Schrägsitzen, Liegen oder Stehen.

Abb.1: Ausschnitt aus einer Computer-Tomographie (CT). Man erkennt den verheilten Oberschenkel-Halsbruch, sowie Wirbel und Bandscheiben.

Es dauerte schließlich eineinhalb Jahre, bis ich wieder normal sitzen und laufen konnte, bis der Oberschenkel auf neunzig Grad zum Becken gebeugt werden konnte. Tägliches Training war erfolgreich. Es war ein Gefühl, als ob man Spagat übt. Immer wieder dachte ich mir Übungen aus, um die Bänder weiter zu dehnen.

Abb.2: Oberschenkel und Becken sind rundum durch Sehnen verbunden, die sich permanent straffen, wenn sie nicht regelmäßig beansprucht werden.

Und plötzlich begriff ich, warum ich all die Jahre immer wieder mit einem Hexenschuß zu kämpfen hatte.

Die Ursache des Problems

Berufsbedingt saß ich viel am Schreibtisch. Oder in der S-Bahn, im Auto, bei Tisch oder im Sessel vor dem Fernseher. In Summe vielleicht zehn Stunden täglich.

Was aber passiert in dieser Zeit? Offenbar ziehen sich beim Sitzen die vorn liegenden Bänder zwischen Oberschenkel und Becken zusammen. Sie verkürzen sich unmerklich langsam. Steht man dann auf, sorgen die vorn verkürzten Bänder nun dafür, daß sich das Becken nicht aufrichten kann. Man steht nicht mehr gerade, das Becken bleibt nach vorn gekippt.

Die Folge ist eine Fehlhaltung. Die Wirbelsäule bekommt eine stärkere S-Form und die unteren Bandscheiben, wie auch die Wirbel werden nach innen in Richtung Bauchraum gedrückt, Abb.3, Abb.4. Dadurch aber blockieren sie Nerven des Rückenmarks: Nun noch eine falsche Bewegung und der Hexenschuß ist da, die Nerven des Rückenmarks werden gequetscht.

Abb.3: Durch Fehlhaltung und das nach vorn gekippte Becken verrutschte der unterste Wirbel in Richtung Bauchraum. Von der Bandscheibe darunter blieb nicht viel übrig.

Abb.4: Durch die stärkere Krümmung der Wirbelsäule werden Bandscheiben oder Wirbel keilförmig in Richtung Bauchraum gedrückt.

Was also kann man tun?

Ganz einfach: Wir haben dafür zu sorgen, daß die vorderen Bänder zwischen Oberschenkel und Becken, die sich beim Sitzen stündlich und täglich immer wieder langsam verkürzen, regelmäßig gedehnt werden.

Und da gibt es ganz einfache Übungen, die jeder selbst machen kann.

Die einfachste Übung besteht darin, viel zu laufen. Man geht oder wandert mit ausladenden Schritten und bemüht sich dabei um eine sehr aufrechte Beckenhaltung. Oder man stellt sich an einen Stuhl und versucht, abwechselnd ein Bein nach hinten zu schlagen.

Eine komfortable Übung, die mir seit dem Skiunfall fast alle Leiden erspart, besteht darin, in einer Art stabiler Seitenlage einzuschlafen. Dabei wird ein Bein stark an die Brust herangezogen a), um das Becken zu stabilisieren. Das andere Bein wird so weit wie möglich abgespreizt b), um dort die vorderen Bänder zu dehnen. Irgendwann wechselt man dann die Seiten. Man gewöhnt sich schnell an diese Art des Einschlafens (Abb.5).

Abb.5: a) Beim Einschlafen wird das eine Bein hochgezogen, um das Becken zu stabilisieren. b) Das andere Bein wird so weit wie möglich nach hinten abgespreizt, um die vorderen Bänder zu dehnen.

Seit meinem Unfall und dem Beginn der Einschlaf-Übung sind fast dreißig Jahre vergangen, in denen ich nur noch ganz selten ein Problem hatte. Und wenn doch, dann hatte ich wieder einmal die Einschlafübung vernachlässigt.

Was kann man bei einem akuten Hexenschuß tun?

Wahrscheinlich laufen in Deutschland hunderttausende Menschen mit akuten Rückenschmerzen oder mit chronischem Hexenschuß herum. Viele könnten sich selbst helfen. Ein ebenfalls arg betroffener Kollege verriet mir vor vielen Jahren die einzige Übung, die auch bei mir bei akuten Problemen immer wieder sofort half. Allerdings muß man die selber machen, hier kann kein Arzt helfen.

Wie oben bemerkt, werden beim Hexenschuß zumeist Bandscheiben in Richtung Bauchraum gequetscht Abb.4, oder ein Wirbel rutscht in Richtung Bauchraum, Abb.3. Um das Problem zu beseitigen, haben wir Bandscheiben und Wirbel wieder auszurichten. Und das geht am einfachsten mit einer Rollübung, Abb.6.

Dazu legen wir uns auf eine harte Unterlage, am einfachsten auf einen Teppich. Wir haken die Arme bis zum Ellenbogen unter die Knie. Dann wippen wir vorsichtig nach vorn und nach hinten. Es wird schmerzen.

Machen wir diese Übung täglich ein- oder zweimal, dann ist der Hexenschuß in spätestens zwei Wochen vergessen. Oftmals sind nur zwei oder drei Übungen erforderlich, um die Wirbel wieder in eine Linie zu bekommen und um das akute Problem zu beseitigen.

Allerdings vergehen ein bis zwei Wochen zwischen der ersten Übung und einer merklichen Besserung. Es ist anzunehmen, daß Entzündungsherde erst abgebaut werden müssen, eine Cortisonspritze könnte begleitend helfen.

Abb.6: Rollübung. Wir legen uns auf eine harte Unterlage (Teppich) und wippen hin und zurück.

Abb.7: Durch die Rollübung können Wirbel und Bandscheiben wieder ausgerichtet werden.

Wer allerdings glaubt, damit wäre das Problem gelöst, der irrt. Denn die verkürzten, vorderen Bänder haben sich durch diese Übung um keinen Deut gedehnt.

Es ist zwingend erforderlich, die vorderen Bänder zwischen Oberschenkeln und Becken begleitend zu dehnen - sonst fängt das Theater gleich danach wieder von vorn an!

Ein ängstlicher Arbeitskollege ließ sich operieren. Er ließ sich Rückenwirbel versteifen. Das Ergebnis war erschütternd. Seither kann er nur noch mit einem Rollator herumhumpeln. Er wird vielleicht nie wieder normal laufen können.

Fehlhaltungen

Bei einem Hexenschuß können Wirbel oder Bandscheiben nicht nur nach vorn oder hinten verrutscht sein. Durch permanente, langanhaltende Fehlhaltung beim Sitzen, beim seitlichen Liegen vor dem Fernseher oder durch Fehlhaltungen beim Schlafen mit Katzen oder Hunden können Wirbel oder Bandscheiben auch seitlich verrutschen. Leider ist dem Autor keine Übung bekannt, welche hier Abhilfe schaffen kann. Dringend zu empfehlen wäre allerdings, Maßnahmen zu ergreifen, um die ursächliche Fehlhaltung generell zu vermeiden.

Abb.8, Abb.9: MRT-Bilder einer seitlichen Quetschung des Rückenmarks (Pfeile).

Die Rollübung zeigte bei einem Bekannten mit chronischem Hexenschuß keine Wirkung. Im MRT-Bild waren seitlich verrutschte Bandscheiben als Ursache zu erkennen. Aber zum Glück rutschte er bei Gartenarbeiten aus und fiel dabei heftig auf den Rücken. Der Schreck beim Sturz hatte vielleicht die Muskeln der Wirbelsäule so heftig angespannt, daß Bandscheiben und Wirbel durch den Sturz wieder in eine normale Lage rutschten. Der Hexenschuß ist verschwunden, er läuft seitdem wieder ohne Rollator. (Allerdings bin ich nicht sicher, ob es am Sturz lag. Er hatte vorher die Rollübung probiert und hatte sich beschwert, daß diese furchtbar schmerzhaft sei.)

Biertrinker aufgepaßt!

Noch eine Beobachtung zu entzündlichen Gelenkerkrankungen - Morbus Bechterew, Arthrose etc.

Wir hatten in der Firma in Berlin eine sehr fähige und fleißige Kollegin aus Chemnitz. Deren Mann erkrankte schwer an entzündeten Gelenken, an einer Art von Gicht. Zum Schluß saß er im Rollstuhl. Nun hatte seine Gattin die Aufgabe, ihm bei jeder Heimfahrt am Wochenende zwei Kästen Bier mitzunehmen. Er war leidenschaftlicher Biertrinker. Zwei Jahre später war er verstorben.

Irgendwann las ich dann, daß beim Abbau von Alkohol Harnsäure entsteht. Die hat eine Neigung, in den Gelenkkapseln auszukristallisieren. Bei Bewegung werden die Gelenkknorpel von den Harnsäurekristallen zerrieben. Die Folge sind chronisch entzündete Gelenke.

Besonders häufig ist diese Erkrankung bei (Viel-) Biertrinkern zu beobachten. Diese leiden wohl am meisten unter daraus resultierenden Rückenproblemen.

Eigene Beobachtung: Wenn wir im Sommer oft im Garten sitzen, um mit Nachbarn anzustoßen, bekam auch ich manchmal Gelenkprobleme. Bei mir fing es meist mit Schmerzen in den Fingergelenken an. Ein Biertrinker sollte dann dringend mehrere Wochen auf seine Molle verzichten!

Was sagt die Statistik?

Rückenprobleme sind eine der häufigsten Erkrankungen weltweit. In Deutschland werden nach einer Statistik der Krankenkassen rund vier Milliarden Euro jährlich für die Behandlung von Rückenproblemen ausgegeben. Wenn aber Ärzte und Physiotherapeuten die Ursachen bis heute nicht kennen (wollen?), stellt sich die Frage, ob man hier nicht einsparen kann oder sollte.

Bliebe noch zu erwähnen: Sollten Sie unsicher sein, ob die hier vorgeschlagenen Übungen für Sie geeignet sind:

"Für Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie bitte
den behandelnden Arzt oder Physiotherapeuten!"


Was bringt den Doktor um sein Brot?
a) die Gesundheit und b) der Tod.
Drum hält der Arzt, auf daß er lebe,
uns zwischen beidem in der Schwebe.
Eugen Roth (1895-1976)

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Hochgeladen am 15. Sept. 2023
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