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Elektrodynamische Vorgänge im Meer:
Haben Fische einen siebten Sinn?


Gerd Heinz,
Berlin, im September 1985

Vorwort

Einige rätselhafte Erscheinungen bewegen seit langem unsere Gemüter. Immer wieder liest man von ihnen, und immer wieder registriert der aufmerksame Leser, daß die Ursachen ungeklärt sind. So auch ich.

Bis mir eines Tages - beim Herausziehen des Badewannenstöpsels - die zunächst kuriose Idee kam, daß Wasserbewegungen, verknüpft mit dem Erdmagnetfeld eine winzige, im Wirbel nachweisbare, elektrische Potentialdifferenz erzeugen. Meerwasser ist salzig, es ist mit genügend Ionen versehen: Mit einem Nanovoltmeter müßte es meßbar sein. Und da gab es doch diese Lorentzkraft...

In fieberhafter Eile schlug ich meinen Lunze [1] auf und fand auf Seite 296 die "Rechte-Hand-Regel": Die Bewegung des Meereswasser senkrecht zum Erdmagnetfeld muß - unabdingbar - elektrische Felder im Meerwasser selbst erzeugen.

Vorausgesetzt, Fische besitzen einen Sinn für das Magnetfeld der Erde (eine Art Kompaß), bekäme ihr Seitenlinieninstrument, mit dem elektrische Spannungen registriert werden können, plötzlich einen Sinn. Es handelt sich um nicht mehr und nicht weniger als um das Navigationssystem der Tiere.

Inwiefern ein Fisch, der mit diesen beiden Instrumenten ausgerüstet ist, tatsächlich besser Nahrung findet, er also dem Fisch überlegen ist, der über diese Instrumente nicht verfügt, wollen wir hier klären.

Die klamme Frage nach dem experimentellen Nachweis indes ist noch offen. Am liebsten wäre ich stehenden Fußes nach Rostock gefahren, um mich auf einem Hochseetrawler anheuern zu lassen. Doch der Reihe nach.


Rätselhafte Erscheinungen

Immer wieder hört man zur Zeit (1985) von ihnen. Sie hatten bislang nichts miteinander zu tun. Es sind:

Der Leser stelle sich vor, er lebte jahrelang im U-Boot - nur mit einem Kompaß bewappnet - und versuche, im Atlantik einen Fischschwarm zu finden. Was nutzt der Kompaß? Wozu brauchen die Fische den magnetischen Orientierungssinn und den Seitenliniensensor?


Ladungstrennung in bewegten Meeresströmungen

Ost- oder westwärts bzw. auf- oder abwärts fließende Strömungen schneiden die Magnetfeldlinien des Erdmagnetfeldes. Es kommt, ebenso wie im magneto- hydrodynamischen Generator (MHD-Generator) aufgrund der Lorentzkraft zu einer Trennung der Ladungsträger gemäß Rechter-Hand-Regel, siehe Abb.1.

Im Meerwasser als ionisiertem, gut leitfähigem Medium sollte dieser Effekt nachweisbar sein, obwohl die magnetische Feldstärke des Erdmagnetfeldes und die Fließgeschwindigkeit der Gewässer oder Meeresströmungen sehr gering sind. Die resultierenden elektrischen Felder werden also recht schwach sein.

Unser Ausgangspunkt für die Annahme derartiger elektrischer Felder insbesondere in Meeresströmungen ist dabei, daß von verschiedenen Fischarten bekannt ist, daß sie über ein hochempfindliches elektrisches Meßinstrument verfügen: den Seitenliniensensor. Um tausende Kilometer durch Atlantik oder Pazifik navigieren zu können, wird vermutet, daß verschiedene Arten über Magnetfeldsensoren verfügen.

Erscheint es vielleicht möglich, daß Fische mit einerseits einem Magnetfeldsensor, andererseits mit dem Seitenlinieninstrument ausgerüstet, eine Orientierungsmöglichkeit in Meeresströmungen besitzen?

So könnten sie aufwärts gerichtete Strömungen (sogenannte Nährstoffblasen) mit diesem Instrument erkennen.

Auch könnten sie erkennen, ob sie sich in einer Meeresströmung befinden, die sich von Ost nach West oder entgegengesetzt bewegt.

Über die Inklination des Erdmagnetfeldes wäre sogar die Schätzung der Entfernung von den Polen möglich.

Aufwärts gerichtete Strömungen sind nährstoffreich. Erreichen diese Strömungen die Meeresoberfläche, setzt ein starkes Planktonwachstum ein. Fischschwärmen dienen derartige Stellen als Futterplatz. Und es erscheint wohl sehr nützlich, wenn Fische solche Stellen schneller finden können.


Gezielte Ortung von Futterplätzen

In Abb.2 sind die in Abhängigkeit von der Art der Meeresströmung entstehenden Situationen dargestellt. Eine fallende oder sinkende Meeresströmung erzeugt einen Spannungsabfall in Ost-West Richtung (Abb.2a); eine aufsteigende Nährstoffblase hingegen erzeugt ein elektrisches Spannungsgefälle in West-Ost Richtung (Abb.2b).

Verfügt der Fisch über einen Magnetfeldsensor - erkennt er also die Ost-West-Richtung - so wäre er mittels des Seitenliniensensors in der Lage, sinkende von aufsteigenden Strömungen zu unterscheiden.

In Abb.2c erkennen wir, daß ein aus südlicher Richtung anschwimmender Fisch den Pluspol rechts hat, während für einen aus nördlicher Richtung anschwimmender Fisch der Pluspol links liegt. Insofern ist der Besitz eines Magnetfeldsensors für den anschwimmenden Fisch zwingend erforderlich. Er muß Nord und Süd auseinander halten können.

Bereits aus großer Entfernung kann er Gebiete aufsteigender Nährstoffblasen gezielt anschwimmen, indem er stets versucht, in Richtung auf das Maximum der zwischen den Seitenliniensensoren meßbaren Spannung zuzuschwimmen (Abb.3).

Die seitliche Anordnung der elektrischen Sensoren am Fisch bekräftigt diese Hypothese, ebenso wie die mysteriösen Erfolge mit Elektroangeln. Bisher wurde vielleicht nur übersehen, daß der Spannungsabfall eine Beziehung zum Erdmagnetfeld besitzen muß, um als Lockmittel zu dienen.

Es liegt nahe, diese Erkenntnis zur Erkundung von Fischschwärmen zu nutzen, indem durch zwei Elektroden die elektrischen Feldrichtungen im Meer bestimmt werden können, siehe Abb.4.

Das Fangfahrzeug könnte theoretisch direkt die Fischschwärme anlocken - ohne sie je gesehen oder geortet zu haben. Potentialkarten des Ozeans für unterschiedliche Tiefen könnten Fischern, Meereskundlern wie auch Meteorologen neue Einsichten vermitteln. Die Elektroangelei wäre erklärbar.

Um das Fangfahrzeug herum muß ein Spannungsgefälle in West-Ost-Richtung erzeugt werden. Auf diese Weise kann vielleicht auch Diesel gespart werden. Elektrofischer hätten sich nur die folgenden, einfachen Regeln zu merken:

Eine zwischen den Elektroden senkrecht stehend angeordnete, isolierende Plastfolie kann die horizontale Feldausbreitung und damit den Wirkungsradius steigern.


Massensterben von Großsäugern am Strand

Es sind meteorologische Konstellationen denkbar (Abb.5), die z.B. eine Meeresbucht zur "Potentialfalle" für hungrige Fische werden läßt. Durch Windverhältnisse bedingt imitiert sie partiell das elektrische Feld einer aufsteigenden Nährstoffblase.

Von Norden kommende Fische sind der Überzeugung, in ein Gebiet aufsteigenden Meereswassers einzuschwimmen. Ihr Seitenliniensensor zeigt ihnen bereits nahe dem Strand immer noch einen Feldstärkezuwachs in Bewegungsrichtung nach Süd an.

Abb.5 verdeutlicht auch die Grenzen der "elektrischen Navigation": Speziell in der Randzone der Meere entstehen elektrische Felder, die irritieren können. Wahrscheinlich sind mehrere verschiedene Informations- und Selektionsmechanismen beim Fisch kombiniert, um den Futterplatz, die aufsteigende Blase, zu finden, so z.B. Wassertemperatur und chemische Zusammensetzung. Oder vom Menschen durch Metallschrott am Strand verursachte Felder.


Ionenwanderung zum Meeresgrund

Die Vermessung von Meeresströmungen ist mit mechanischen Mitteln kompliziert. Mittels mehrerer, an einem Lot hängender Elektroden wäre es möglich, gleichzeitig in unterschiedlichsten Tiefen äquatorial-parallele Meeresströmungen zu vermessen.

Abb.6 zeigt, daß sich abhängig von der Strömungsrichtung entgegengesetzte, horizontale Polarisationen im Meerwasser ausbilden. Bei Betrachtung von Abb.6a entsteht die Vermutung, daß starke West-Ost-Strömungen möglicherweise sogar im Meeresboden nachweisbar zu einer verstärkten Anreicherung von Metall-Ionen bzw. Metallen führen können.

Sofern nicht andere, plausiblere Mechanismen entdeckt werden, erscheint es als wahrscheinlich, daß lokal starke West-Ost-Strömungen, möglicherweise verbunden mit partiell starken Magnetfeldern durch Eisenanreicherung (Lawineneffekt) in den Knollen in einigen Tiefseegräben zum Manganknollenwachstum führen. Diese Vermutung wäre anhand von Strömungskarten in derartigen Fundstätten überprüfbar. Leider stehen dem Autor keine Informationen über Fundstellen zur Verfügung.


Fazit

Die beschriebenen Phänomene könnten erklären, warum sich viele Fische ständig bewegen müssen (man denke an Haie): Sie wollen ihre Orientierung im Ozean nicht verlieren und der Beute auf der Spur bleiben.

Für angedeutete, bislang nicht hinreichend erklärbare Erscheinungen (Seitenliniensensor der Fische, Magnetfeldsensor einiger Fische, Fischsterben am Strand, Manganknollen) gäbe es damit eine mögliche Deutung. Anhand praktischer Versuche müßten die Hypothesen bewiesen werden, es steht leider außerhalb des Ermessens des Autors, dies zu tun.

Ich wünsche Forschern, die sich dieser Aufgabe stellen, größten Erfolg!


Literatur





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