top

Weltpremiere:
Erste Stimmbilder und eine abhebende Stimme

Natalia Pschenitschnikova singt Bach und Scelsi

Notiz zu Aufnahmen am 17. und 18. Oktober 2003 in der Parochialkirche, Klosterstraße 67, 10179 Berlin

Idee: Dr. Friedrich Blutner

Teilnehmer

Aufnahmen

Hinweis: Mit Ton lassen sich nur Filme abspielen, die mit 20 bis 30 Bildern pro Sekunde gerechnet sind. Die meisten Filme wurden mit dynamischem Kontrast gerechnet - auch in den Pausen entsteht dabei ein akustisches Bild. Aufnahmen mit fester Farbtabelle (fixed) zeigen hingegen die Dynamik korrekt an, diese sind aber aufgrund des grossen dB-Kontrasts meist recht undeutlich.

Kurz zur Geschichte

Bei einer Vorführung der akustischen Kamera anläßlich der Tagung EVA2001 hatten wir, zusammen mit Dr. Blutner und Knut Becker, die dort Geigen vorstellten, abhebende Emissionen bei Geigen entdeckt. Nun wollten wir diesen Effekt bei einer Gesangsstimme überprüfen.

Ursprünglich war geplant, mit dieser Probe Aufnahmen für eine Sendung für den Bayerischen Rundfunk vorzubereiten: Bayerischer Rundfunk, 11.03.2004. Die Welt der Sinne, HÖREN - Klänge im Ohr - ein Film von Angelika Lizius (MP4).

Die Regisseurin war interessiert, Fernsehaufnahmen mit Natalja am 2.11.2003 hier zu drehen. Leider gabe es terminliche Schwierigkeiten, Natalja war kurzfristig nicht verfügbar. Auch hatte sie bei der Probe ihre Stimme erkältet und wollte dieses Risiko vielleicht nicht noch einmal eingehen. Die Parochialkirche war zu dieser Jahreszeit unangenehm kalt und zugig.

An Stelle von Natalja hatte Angelika Lizius für die Fernsehaufnahmen am 2.11.2003 eine Geigerin engagiert. Zum Drehtermin blieb es dann bei der Geigerin.

Zurück zum Experiment. Zunächst sah es nicht danach aus, daß auch Stimmen abheben würden. Aber bei Bach: "Ach bleibe doch, mein liebstes Leben" erschienen tatsächlich abhebende Emissionen. Es war unklar, wie sie zu verstehen sind. Wahrscheinlich handelt es sich hauptsächlich um Beugungserscheinungen zwischen der direkten Welle und der am Fußboden reflektierten Welle, siehe Abbildung.

Dennoch gaben die Zeitlupenaufnahmen zunächst Rätsel auf: Es handelt sich nicht einfach nur um ein einwärts (oder rückwärts) laufendes Wellenfeld der Interferenzrekonstruktion, vielmehr sehen wir geschlossene Wellen-Strings in den Mund der Künstlerin laufen. Wie sind sie zu erklären?

So wurde von Frau Lizius für die Filmaufnahmen am 2.11.2003 kurzfristig eine Geigerin engagiert. Und die abhebenden Klänge der Gesangsstimme drohten sogar, in Vergessenheit zu geraten.

Ergebnisse

Erste Versuche mit der eigenen Stimme brachten keine Ergebnisse. Die ungeübte Stimme scheint keinerlei Effekte zu erzielen, siehe Video 1. Gesangsstimmen hingegen verursachen ab und an Beugungsbildern, siehe folgende. Um sie zu finden, machte Natalja zunächst Stimmübungen. Ohne Erfolg. Danach sang sie Bach und Scelsi, ich schnitt nur noch mit. Weil die Auswertung der Aufnahmen zeitaufwändig ist und wir alle vor Kälte zitterten, wurden die meisten Aufnahmen erst im nachhinein ausgewertet.


Video 1: Kollege Uwe Teubert stellte sich als Testkandidat zur Verfügung. Wie er sich auch bemühte, der Quellfleck blieb an der Quelle haften.

Und siehe da: Bei Bach zeigte sich eine "abhebende" Stimme. Quellort und Interferenzrekonstruktion stimmen nicht überein. Das ist ein Hinweis auf Beugungserscheinungen oder Raumresonanzen. Einige Wellen scheinen tatsächlich scheinbar in den Mund hineinlaufen (Zeitinversion bei Interferenz-Rekonstruktion).


Video 2: Natalja singt Bach: "Ach bleibe doch, mein liebstes Leben". Deutlich sind scheinbar von unten und von oben kommende Emissionen erkennbar.

Um die Ursache der abhebenden Wellenzüge erkennen zu können, wurden zunächst die Kanaldaten an entsprechenden Stellen inspiziert.

Bild 1: Der gesamte Arbeitsbereich ist im rechten Bild gezoomt. Im linken Bild liegt unser Bereich zwischen den zwei roten Linien in der Mitte. Von links bis zur Mittellinie up, Mittellinie bis rechts down. Rechts erkennt man einen Bereich ansteigender Frequenzen.

Bild 2: Hier sind ein unterer Kanal (K0, rosa) und ein oberer Kanal des Arrays (K16, gelb) dargestellt. Die abzulesende Phasenbeziehung variiert zwischen beiden Zeitfunktionen.

Um den Dingen auf die Spur zu komme, sollen Zeitlupenfilme helfen.

In der Zeitlupe mit 1500 Bildern pro Sekunde gehen die Wellenpakete zuerst nach oben (sie kommen von oben - Rekonstruktion, Zeitinversion), danach gehen sie nach unten (sie kommen von unten).


Video 3: Zeitlupenaufnahme mit 1500 ips (Bildern pro Sekunde). Natalja singt Bach: "Ach bleibe doch, mein liebstes Leben". Deutlich sind scheinbar von unten und von oben kommende Emissionen erkennbar.

Bild 3: Integriert man in Video 3 über den Bereich der nach oben gehenden Wellen, entsteht das Bild links. Integriert man über den Bereich der nach unten gehenden Wellen, entsteht das Bild rechts.

Man kann erkennen, dass die Hauptintensität der Wellenpakete den wesentlichen, energetischen Beitrag im Integral bilden. Laufen die Wellen nach unten weg, formt sich ein Bild mit Betonung dieses unteren Bereiches etc.


Video 4: In Zeitlupe mit 6000 Bildern pro Sekunde sieht man noch besser, wie sich die Wellenblasen bewegen.

Die Rechnung mit 6000 Bildern pro Sekunde verrät, daß knapp sechs Bilder pro Halbwelle vergehen, die zugehörige Frequenz der Grundwelle liegt damit etwa bei 900/2 = 450 Hz (Wellenlänge 60 cm).

Um verstehen zu können, was es mit diesen ominösen, in sich geschlossenen Wellen-"Blasen", die in Nataljas Mund hineinzulaufen scheinen, auf sich hat, wird der Farbkontrast auf 10 dB geweitet.


Video 5: Zeitlupenaufnahme mit 1500 ips und mit fixierter, geweiteter Farbtabelle. Wir erkennen, daß die vermeintlichen "Blasen" die Peaks des Wellenfeldes charakterisieren, die durch einen reduzierten dB-Kontrast entstehen.

Fazit

Die Aufnahmen geben eine Ahnung davon, warum jeder Mensch eine real singende Person von einem Mitschnitt unterscheiden kann: die Wellenfelder und "Klangbilder" verändern sich beim Mitschnitt fundamental aufgrund anderer, räumlicher Bedingungen des Wiedergaberaumes.

Aus der Phasenbeziehung zwischen einem oberem und einem unterem Kanal läßt sich keine sichere Aussage gewinnen, nur eine Annahme.

Bei einem Kameraabstand von 3 Metern (in NoiseImage steht der Parameter "Focus" auf 3 m) und einer Höhe des Emissionsortes und der Kamera von etwa 1,5 Metern berechnen wir die Länge der Bodenspiegelung mit dem Pythagoras zu 4,24 m. Das sind genau 1,24 m mehr, als der direkte Schallweg lang ist (4,24 m - 3 m).

Wellen-Auslöschungen kommen bei einer Phasendifferenz von der halben Wellenlänge λ/2 und weiteren Vielfachen vor, d.h. bei (λ/2 + n·λ). Diese Auslöschungen könnten separat mittels Tongenerator besser untersucht werden, als mit einer (sehr variablen) Stimme.

Gerd Heinz im Oktober 2003

-----

Layout verändert, ergänzt und gestrafft: 3.2.2023



Impressum

www.gheinz.de/index.html
Mail to info@gheinz.de
Besucher seit 6. Dez. 2021: